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Fehlender rechtlicher Hinweis, § 265

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a) Veränderte Rechtslage

Zur Standardprüfung, die vor jeder Revisionsbegründung vorzunehmen ist, gehört ein Vergleich zwischen Anklage und Urteil. Dabei ist der entscheidende Gesichtspunkt die zugelassene Anklage. Diese ist zu vergleichen mit der rechtlichen Beurteilung im Urteil. Abweichungen erfordern einen rechtlichen Hinweis nach § 265 Abs. 1 (anderes Strafgesetz) oder Abs. 2 (besondere Umstände). Dabei ist es gleichgültig, ob die Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes aufgrund neuer Tatsachen, die erst in der Hauptverhandlung hervorgetreten sind, erfolgte oder ob das Gericht den Sachverhalt des Anklagesatzes rechtlich anders gewürdigt hat, als die Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung .

Die Verfahrensrüge nach § 265 Abs. 1 bzw. Abs. 2 ist nur zulässig erhoben, wenn die Anklage mitgeteilt, am besten in vollem Umfang in die Revisionsbegründung einkopiert wird. Der Sachvortrag muss weiter umfassen, dass diese Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen wurde, andernfalls sind die Änderungen mitzuteilen, am besten der Eröffnungsbeschluss mit den entsprechenden Änderungen ebenfalls einzukopieren. Die Urteilsgründe, die von der Anklage abweichen, müssen nicht in der Revisionsbegründung wiedergegeben werden, da die Urteilsgründe durch Erhebung der allgemeinen Sachrüge zur Kenntnis des Senats gelangen.

Der Revisionsführer muss naturgemäß weiter vortragen, dass in der Hauptverhandlung kein rechtlicher Hinweis auf die veränderte Rechtslage erfolgte. Dieser Hinweis stellt eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens dar . Enthält das Hauptverhandlungsprotokoll keinen entsprechenden Vermerk, so ist damit bewiesen, dass in der Hauptverhandlung kein rechtlicher Hinweis erteilt wurde. Auf dem Verfahrensverstoß wird das Urteil zumeist auch beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass sich der Beschwerdeführer anders und damit wirkungsvoller verteidigt hätte, wenn der Hinweis erteilt worden wäre und er seine Verteidigung an diesem Hinweis hätte orientieren können. Das Beruhen ist jedoch ausgeschlossen, wenn feststeht, dass der Angeklagte sich schlechterdings nicht hätte anders verteidigen können, zumeist auch bei einem Geständnis. Die Zulässigkeit der Rüge setzt nicht voraus, dass der Revisionsführer mitteilt, wie der Angeklagte sich bei einem korrekten rechtlichen Hinweis verteidigt hätte. Es ist aber empfehlenswert, die alternative Verteidigungsstrategie darzulegen, soweit sie aus der Perspektive der Revision erkennbar ist.

Ein rechtlicher Hinweis ist etwa erforderlich beim Wechsel des Mord¬merkmals bei unterschiedlichen Begehungsweisen des § 224 StGB oder des § 250 StGB . Hinzuweisen ist auf den Wechsel von Versuch zur Vollendung und umgekehrt , von Fahrlässigkeit auf Vorsatz und umgekehrt , von Mittäterschaft auf Alleintäterschaft oder umgekehrt , von Teilnahme auf Täterschaft und umgekehrt . Auch der Übergang auf ein milderes Gesetz erfordert einen Hinweis, denn der Angeklagte muss die Chance haben sich dahingehend zu verteidigen, dass er auch das mildere Gesetz nicht verletzt hat . Ein Hinweis ist entbehrlich, wenn die Verteidigung durch die Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes nicht berührt wird, weil lediglich erschwerende Umstände wegfallen (z.B. das Mitführen einer Schusswaffe in § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Der Hinweis muss durch eine förmliche, in der Sitzungsniederschrift enthaltene Erklärung an den Angeklagten durch den Vorsitzenden des Gerichts erfolgen. Ein Hinweis durch den Staatsanwalt in seinem
Plädoyer reicht nicht aus. Der Hinweis muss so konkret sein, dass der Angeklagte in der Lage ist, die Verteidigung auf den neuen Gesichtspunkt hin zu orientieren. Es muss deutlich werden, welche konkrete Begehungsform eines Strafgesetzes gemeint ist und welche konkreten Tatsachen in Betracht kommen, die den gesetzlichen Tatbestand erfüllen könnten .

b) Veränderte Sachlage

Die Strafprozessordnung sieht eine Hinweispflicht in diesem Fall ausdrücklich nicht vor. § 265 Abs. 4 behandelt lediglich die Aussetzung der Verhandlung. Gleichwohl besteht Einigkeit, dass der Angeklagte nicht im Unklaren darüber gelassen werden darf, welcher Sachverhalt dem Urteil möglicherweise zugrunde gelegt werden kann. Eine Hinweispflicht lässt sich insoweit aus Art. 103 GG ableiten. Umstritten ist jedoch, ob eine förmliche Hinweispflicht besteht, § 265 Abs. 1, 2 entsprechend anzuwenden ist und somit nur das Protokoll Beweis erbringt oder ob es ausreicht, dass der Angeklagte durch den Gang der Hauptverhandlung über die mögliche Veränderung der tatsächlichen Urteilsgrundlage unterrichtet wurde.

Der Bundesgerichtshof steht auf dem Standpunkt, dass auch bei Veränderung wesentlicher tatsächlicher Umstände ein förmlicher Hinweis nicht erforderlich ist, es vielmehr ausreicht, dass der Angeklagte die Veränderung der Tatsachengrundlage dem Gang der Hauptverhandlung oder anderen Umständen entnehmen konnte . Auch hier muss allerdings deutlich werden, dass das Gericht möglicherweise von einer anderen Tatsachengrundlage ausgehen wird. Nicht ausreichend ist, wenn entsprechende Beweisergebnisse zu Tage treten (etwa eine Zeugenaussage einen anderen Tatablauf nahe legt) oder wenn der Staatsanwalt zu erkennen gibt, dass er nunmehr von einer anderen Tatsachengrundlage ausgeht. Diese Rechtsprechung erscheint unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich. Eine Änderung der tatsächlichen Urteilsgrundlage kann ebenso schwer wiegen wie Veränderungen des rechtlichen Gesichtspunktes im Sinne der ersten beiden Absätze von § 265. Ein effektiver Schutz des Angeklagten vor überraschenden Entscheidungen wird nur durch einen förmlichen Hinweis sichergestellt. Der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat daher auch in einem die Revision verwerfenden Beschluss auf die Überlegung hingewiesen, “dass es zweckmäßig ist – wenn auch nicht rechtlich geboten – eine veränderte Sachlage in einem wesentlichen Punkt schriftlich zu fixieren und bekannt zu geben“.

Eine Rüge, wonach der Tatrichter den Angeklagten nicht auf eine Veränderung der tatsächlichen Urteilsgrundlage hingewiesen hat, setzt daher auch die Darlegung voraus, dass der Angeklagte die Veränderung dem Gang der Hauptverhandlung nicht entnehmen konnte. Das Revisionsgericht holt dann dienstliche Äußerungen der Berufsrichter, ggf. auch von anderen Prozessbeteiligten ein, um im Freibeweis zu klären, ob der Angeklagte die Veränderung des Gesichtspunktes dem Gang der Hauptverhandlung entnehmen konnte. Es liegt auf der Hand, dass für die Berufsrichter meist kein Zweifel besteht, der Angeklagte habe die Veränderung des Gesichtspunkts dem Gang der Hauptverhandlung entnehmen können. Für den Angeklagten und seinen Verteidiger ist dies häufig bei Weitem nicht so klar. Interessanterweise erscheint dem Bundesgerichtshof bei Rügen, wonach auf eine veränderte Sachlage nicht hingewiesen wurde, eine Rekonstruktion der Hauptverhandlung zulässig. Denn nichts anderes erfolgt durch die Einholung der dienstlichen Stellungnahmen, die zum Teil akribisch den Gang der Hauptverhandlung in allen Einzelheiten nachzeichnen. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten erscheint daher eine förmliche Hinweispflicht bei Veränderung wesentlicher Gesichtspunkte, die solche Tatsachen betreffen, in denen die Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes gefunden werden, geboten .

c) Verfahrensbeschränkung

Schließlich ist ein Hinweis auch erforderlich, wenn Taten oder Tatteile, die gemäß §§ 154 Abs. 2, 154 a Abs. 2 ausgeschieden wurden, als Indizien oder Strafzumessungserwägungen gleichwohl genutzt werden sollen. Allerdings besteht auch hier keine Verpflichtung zu einem förmlichen Hinweis . Fehlt ein Hinweis, so ist der Rechts¬fehler in Form einer Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2) geltend zu machen .

Verstöße gegen § 265 begegnen relativ häufig, so dass es sich lohnt, in jedem Revisionsverfahren die Akten unter diesem Gesichtspunkt zu studieren.

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